Jenseits des Weisswurstaequators
(kommt lieber zu uns, sonst kommen wir zu euch...)
Das Reiseführer Kollektiv ist unterwegs. Weit, weit in der Ferne, unbekannte Galaxien zu erforschen.
Die Galaxie heisst München und die Bewohner Weißwürste.
Sonst siehts hier aus wie in einer zu groß geratenen Kleinstadt.
Die Nachbarn haben sich schon nach der ersten Nacht beschwert.
München konnte sich wohl nicht entscheiden, zwischen Kaff und Metropole.
Aber wir haben uns ja nicht zum Meckern auf den Weg gemacht, sondern um unser tolles Reiseführerprojekt einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen.
Das geht nämlich ganz hervorragend auf dem Neuro- networking europe- Kongress der gerade hier stattfindet.
Wir sitzen also unter einen großen Reiseführer Logo und erklären den andern die Idee des gesellschaftskritischen online-travelguides.
Und man kann hier auch andere spannende Projekte treffen, unverständliche Fachgespräche anhören und abends gibt’s Mucke und Bier.
Überall stehen Laptops und Beamer, alle Leute sind blass und sehen aus wie Hackbart der Freak. Voll die Profis- und wir mittendrin. Wir haben gelernt das Standdeko auf so Computerveranstaltungen nicht mehr aktuell ist. Unsereins hat so schöne Deko-Kakteen aus Pappmaschee gebastelt, und alle anderen haben nur Kabel und Comupter.
Und gleich gibt’s ne Diskussion mit Ted, dem Medien/Bildungstheoretiker.
Da gehn wir jetzt hin.
An einem verregneten Juniwochenende 2004 ist es wieder unterwegs: das Reiseführer- Kollektiv. Mit dabei das Expert-Mobil, welches an jedem Ort der Welt direkten satellitenunterstützten Internetzugang garantiert.
Diesmal zieht es uns in die selbsternannte preußische Provinzperle der Brandenburger Streusandbüchse – Rheinsberg.
Zu allererst geht’s ab in die Radiowellenanlage mit quasi natürlichem Kühlkreislauf, der aus zwei durch das Kernkraftwerk verbundene Seen besteht. Interessanterweise gibt es hier eine Pumpstation, die verhindern soll, dass das Wasser überläuft und das Kernkraftwerk bedroht.
Bei der Projektierung in den 50ern des 20. Jahrhunderts war eben noch nicht klar, dass „Versteppung“ auch Wasserstandsenkung bedeutet. So ist die Pumpenstation wie auch das seit gut 15 Jahren abgeschaltete Kraftwerk ohne Funktion- sieht man mal von den über 200 Arbeitsplätzen ab.
Danach folgt was folgen muss. Eine Schlossbesichtigung. Unsäglich. Ein Audioguide führt mit sympathischen Stimmen durch nichtssagende Ausstellungsräume.
Glaubt man dem Museum war Preußen Hochkultur, Spaß, Dallerei , intellektuelle Zerstreuung, tiefsinnige Philosophie, schöne Frauen, starke Männer, mutige Heerführer, sinnierende Prinzen und wieder Hochkultur.
Kein Bezug zur gesellschaftspolitischen Bedeutung der preußischen Sommerresidenz, keine Erwähnung von gesellschaftlichen Widersprüchen – nichts. Harmonie pur. Hin und wieder Prinzenzweifel.
Besser dann ins Literaturmuseum Kurt Tucholsky. Hier geht’s einfach nicht ohne politische Reflexion. Sehr gut. Die Welt ist nicht verloren.
Das gastronomische Ambiente ist gewöhnungsbedürftig- alles ist auf die ausbleibenden Touristen eingestellt. Preislich und im Folklorequotienten.
Wenn´s gefällt...
Jugendliche sind wenig präsent und gehen im sommerlichen Strom von Rentnernbussen unter. Ein kleines Jugendbüro und ein kleiner Jugendclub halten ambitionierte Jugendliche nicht im Ort. Es sei denn, man ist SchülerIn der klassischen Musik und nimmt Teil am regen Leben der Musikakademie.
Eigentlich ein schicker Ort, der in malerischer Landschaft für Entspannung und Erholung wie geeignet zu sein scheint. Schade nur, zu viel Preußengloria. Den Gästen wird vermittelt, dass Rheinsbergs Geschichte ca. 1760 begann und garantiert vor 1949 endete.
Und ebenso hinderlich ist eine allgemeine Preisgestaltung abseits des realen ostdeutschen Lohnniveaus.