Von der Bundeshauptstadt aus ist es zur sogenannten Peripherie nicht weit. In Frankfurt/Oder, mit Auto oder Bahn in einer knappen Stunde angekommen, ist sie schon erreicht. Im Sommer 2006 herrscht hier eine starke Mückenplage. Winzige Stechmücken, Kriebelfliegen genannt, wogen in großen Schwärmen durch die Luft, auf der Schnellstraße prasseln sie an die Windschutzscheibe wie ein Regen. Dieses Insekt, das sauberes Wasser bevorzugt zur Eiablage, entwickelte sich mangels Industrie und industrieller Abwässer explosionsartig. Es wird sogar eine "Kriebelmücken-Konferenz" mit Experten geben. Die polnische Seite spritzt Gift, die deutsche nicht. Die Folger der Mückenplage jedenfals: es stehen alle Sitzgärten leer und die Touristen fliehen. Die Stadt wirkt darüber hinaus überraschend geruhsam, besonders morgens gibt es kaum Berufsverkehr. Stau entsteht einzig nur in der Rosa-Luxemburg-Straße durch den innerstädtischen Grenzübergang nach Slubice. Man findet überall (sogar schattige) Parkplätze. Diese Geruhsamkeit ist die Folge der Massenabwanderung nach Westen. Vor 1989 hatte Frankfurt (Oder) ca. 90.000 Einwohner. Von 1990 bis heute hat die Stadt fast 30 Prozent ihrer Bevölkerung verloren. Daran konnten weder die Neugründung der Viadrina-Universität (1991) mit ihren nur drei Fakultäten und entsprechend wenigen Studenten, noch der schöne Zusatz "Kleist-Stadt" (1999) etwas ändern.
Aber nciht nur am Bevölkerungsschwund lässt sich ablesen, dass wir uns eindeutig in einem "strukturschwachen" Gebiet befinden. Mehr als 20 Prozent der Bürger dieser Stadt sind arbeitslos, mehr als 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen leben von Sozialhilfe. Es gibt zweieinhalbtausend Ausländer in etwa, und eine hochgradige Xenophobie. Bei einer ersten Bürgerabstimmung dieser Art, stimmten Anfang dieses Jahres 86 Prozent der Bürger gegen eine Verlängerung der Straßenbahnlinie über die Oder hinweg ins polnische Slubice. Allgemeine Meinung: "Zum Tanken brauchen wir das Auto!" Eine ältere Frau, Bewohnerin einer Plattenbausiedlung im Stadtteil Neu-Beresinchen erzählt uns: "Das wird hier immer keimiger, seit Jahren putzt keiner mehr das Treppenhaus. Hier wird sich nie mehr was ändern; das sehen sie schon daran, dass 3.500 Wohnungen abgerissen worden sind … Im Prinzip leben nur noch Verlierer in der Stadt - und die, die die Verlierer verwalten …" Wer abends in der Dämmerung über die Autobahn kommt, kann eine angestrahlte Investruine sehen. Sie steht im "Technologiepark Ostbrandenburg", ist 230 Meter lang und 84 Meter breit und 20 Meter hoch. Die 2003 gescheiterte Chipfabrik war eines der ehrgeizigsten Großprojekte in den neuen Bundesländern, es endete mit einem wirtschaftspolitischen Desaster und verschlangt 80 Millionen an Steuergeldern.