Jüdische Geschichte in Cottbus - Teil II
Mit der Wahl der neuen Regierung am 31.1.1933 begann für viele Menschen eine schwere Zeit. Eine der verfolgten Bevölkerungsgruppen, erst in Deutschland, später auch in allen besetzten Gebieten waren die Juden. Auswirkungen dieser Verfolgung und Diskriminierung waren bis ins kleinste Dorf zu spüren. Gleich 1933 ging die systematische Ausbeutung, Diskriminierung, Verfolgung und Ausrottung los. Allein 1933 wurden 315 Gesetze und Verordnungen zur Entrechtung der Juden erlassen. In diesem Jahr wurde auch bei der Ortspolizeibehörde Cottbus die Abteilung VI gegründet, die nur für sogenannte Judenangelegenheiten zuständig war.
Im gleichen Jahr am 31.3.1933 erschien im "Cottbuser Anzeiger" der Boykottaufruf, der am 01.04.1933 ab 10.00 Uhr gelten sollte unter der Überschrift "Wer beim Juden kauft, ist ein Verräter am deutschen Volke". Dieser Boykottaufruf beschränkte sich nicht nur auf Ladenverkaufstellen, sondern beinhaltete auch u.a. sämtliche Büroräume jüdischer Rechtsanwälte, Niederlassungen jüdischer Ärzte, Tuchversandgeschäfte etc. In der Sprem sollen Bürger trotz des Verbotes in jüdischen Geschäften eingekauft haben, das ist aber nicht nachgewiesen.
1933 nahmen sich der jüdische Kinderarzt Gustaf Matzdorf und seine Frau das Leben, die Häuser in denen sie zur Miete wohnten und ihre Praxis hatten, die auch in jüdischem Besitz waren gingen in den 30ger Jahren in städtischen Besitz über. Ende der 60ger Jahre wurden sie wegen der Straßenerweiterung abgerissen. Der Mitinhaber des bekannten Modehauses Brunner & Schießer, der in der Bahnhofstrasse 49 wohnte, wanderte 1933 nach Israel aus (andere Angaben geben Bolivien an). Dem Ozeanüberquerer amerikanischer Staatsbürgerschaft Levin, der 1927 in der Nähe von Cottbus notlanden musste und als Ehrenbürger der Stadt Cottbus aufgenommen wurde, wird diese Ehre wieder aberkannt, da er Jude ist. Ebenfalls in diesem Jahr wurden zahlreiche Einbürgerungen, die in den Jahren 1918 bis 1933 erfolgten, rückgängig gemacht und die Betroffenen zur Ausreise gedrängt, natürlich nur nach Zahlung der sogenannten "Reichsfluchtsteuer". Jüdischen Beamten, Ärzten, Angestellten, Studenten etc. wurde gekündigt, die Erlaubnis für Marktstände wurde eingezogen bzw. nicht mehr erteilt; das alles zielte auf den Bankrott dieser Menschen ab.
Am 14.12.1936 erfolgte die Polizeiverordnung über die "Feststellung der Wahlberechtigten" aller ansässigen "reichsdeutschen Nichtarier" und sogenannten "Mischlinge". Daraufhin wurde Georg Schlesinger, der damalige Vorsteher der Synagogengemeinde, am 28.12.1936 von der Ortspolizeibehörde aufgefordert, sämtliche MitgliederInnen der Synagogengemeinde, sowie ihre Verwandten aufzulisten. Laut dieser Liste lebten damals 334 jüdische BürgerInnen in Cottbus, davon waren 87 Kinder, 128 Frauen, 119 Männer, sowie 98 Menschen ohne deutschen Pass.
Diese mussten sich dann beim Wahlamt einfinden und einen diskriminierenden Fragebogen ausfüllen.
Im Februar 1937 lebten 499 Juden in Cottbus, dieser Anstieg ist darauf zurückzuführen, dass viele Juden aus ländlichen Gemeinden hofften, in der Stadt Cottbus anonymer zu leben. Denn die Auswanderungswelle, die von der Regierung auch gewollt war, lief schon. So emigrierten z. Bsp. bis zum 01.10.1936 34 Cottbusser Juden, darunter zahlreiche Kinder, nach Zahlung der "Reichsfluchtsteuer" hauptsächlich nach Südafrika und Brasilien. Parallel zur verstärkten Auswanderungswelle lief die Zwangsenteignung jüdischer Häuser, Geschäfte, Fabriken etc. So zum Beispiel in der Bahnhofstrasse 77. Dieses Haus wurde 1899 im Auftrag des jüdischen Kaufmannes Salomon Neumann erbaut. 1910 übernahm Emil Neumann, vermutlich der Sohn von Salomon Neumann die Verwaltung des Besitzes. Mitte der zwanziger Jahre kauften sie das Grundstück der konkursen Tuchfabrik am Kaiser Wilhelm Platz 55 und zogen auch dorthin. Das Haus Bahnhofstrasse 77 wurde vermietet. 1938 dann wurden beide Grundstücke zwangsenteignet. Auch der Möbelfabrikant Ludwig Friede, der Anfang der zwanziger Jahre das Haus Bahnhofstrasse 55 gekauft hatte, musste Haus und Firma unter den Nazis aufgeben, weil er Jude war. Am 30.06.1939 wandern Samuel Neumann und Curt Jablonsky nach Chile aus, beide wohnten vorher in der Sprembergerstrasse 8. Um auswandern zu können, musste sich jede/r einem immensen bürokratischen Apparat ausliefern, der immer wieder neue Unterlagen, Bescheinigungen etc. anforderte. Doch zum Glück hielten viele Menschen diesem Druck stand, doch es konnte auch passieren, das jemand abtransportiert wurde, während der Auswanderungsantrag oder Passantrag oder Visumantrag oder oder oder lief. Margot Grünbaum, geboren 1911 in Cottbus wanderte nach Argentinien aus. Der Zahnarzt Fritz Brühl, wohnhaft in der Lessingstrasse 6 emigrierte am 18.04.1939 nach Shanghai. Seine Frau zieht bis zur ihrer Ausreise nach Berlin zu ihren Eltern. Der Tuchfabrikant Ernst Frank, geboren in Cottbus und seine Frau Carla Frank, geborene Grünbaum, beide wohnhaft Parzellenstrasse 2 wandern nach Manchester aus. Die Schülerin Anni Fuchs geboren 1925 in Senftenberg wird von ihrer Mutter Rosa Fuchs, wohnhaft Altmarkt 29 nach Schweden geschickt und später auf eine Internatsschule in England. Die Mutter Rosa Fuchs wird am 27.02.1943 in Theresienstadt ermordet. Ihr geschiedener Mann Arthur Goldstein stirbt Ende April 1942 im Ghetto Piasti bei Lublin. Sein Bruder Richard Goldstein stirbt am 10.01.1943 im Internierungslager in Italien während er auf die Genehmigung zur Einreise nach Palästina wartet. Seine Frau Else Goldstein kommt nach zwei Jahren Irrfahrt in Palästina an, nachdem sie und ihr Mann die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt bekommen hatten und ihr gesamtes Vermögen konfisziert wurde. Die Versicherungsvertreterin Charlotte Gerechter, wohnhaft Lessingstrasse 6 emigriert nach England. Ebenfalls Karoline Grünbaum, wohnhaft Parzellenstrasse 2. Das Ehepaar Jablonsky wandert nach Chile aus, ebenfalls Kurt Jablonsky, wahrscheinlich ein Bruder. Am 08.03.1939 emigrieren das Ehepaar Georg und Ruth Keilson, wohnhaft Kaiserstrasse 5 mit ihrem Sohn nach Shanghai. Das gleiche Ziel haben das Ehepaar Hermann (Schumacher) und Edith Lewitt, wohnhaft Schützenstrasse 1. Der Kaufmann Samuel Neumann, seine Frau Tekla und ihre Tochter Edeltraut, alle wohnhaft Sprembergerstrasse 8 wanderten nach Bolivien aus. Susie Norbert geboren 1918 in Cottbus, wohnhaft Marienstrasse 19 emigriert am 27.03.1939 vorerst nach Cuba, später im November 1939 in die USA. Lieselotte Pick, Hausgehilfin, geboren 1914 in Cottbus, wohnhaft bei ihren Eltern in der Rossstrasse 27 emigriert nach England. Chaim Teichler, wohnhaft Sprembergerstrasse 37, bekommt die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt (,weil er Jude ist und ursprünglich aus einem anderen Land kommt) schafft es aber trotzdem am 20.08.1938 nach Monte Video auszuwandern. Die staatenlose (,weil ihr die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde) Frieda Teichler beabsichtigt nach Südamerika auszuwandern. Doch ein Memo der zuständigen Behörde vom 14.12. 1936 sagt aus nichts zu veranlassen, da sie in Breslau wohnt.
Nach der Progromnacht vom 9.11.1939, über die ich im Teil 1 (NHZ # 47) berichtete, wurden die Maßnahmen immer diskriminierender und unerträglicher. So kam die Verordnung über das Tragen von "Judensternen" hinzu, die Zwangsarbeit, der systematische Abtransport in Konzentrations- und Vernichtungslager unter Einbeziehung sämtlicher Vermögenswerte, das Zusammenlegen der jüdischen Bevölkerung in sogenannte Judenhäuser usw. Im Juni 1939 lebten 162 jüdische Bürger in circa 50 bis 60 Wohnungen, davon waren circa 10% ohne Kochgelegenheit und nur zwei mit Bad ausgestattet. Die sogenannten Judenhäuser befanden sich in der Münzstrasse 42, Rossstrasse 27, Kaiserstrasse 5 (dort waren ausschließlich alte Menschen eingepfercht, die unter unvorstellbaren Bedingungen lebten), Mühlenstrasse 37, Dresdener Strasse 55 und Wallstrasse 9. So wurden zum Beispiel Herr Israelski und sein Untermieter Hermann Liegner, gezwungen die gemeinsame Wohnung Bismarckstrasse 2 aufzugeben, fanden eine neue Bleibe in der Pücklerstrasse 5a und erhielten kurz darauf erneut die Kündigung und den Befehl in eins der sogenannten Judenhäuser zu ziehen, die meist schon voll belegt waren.
Am 06.05.1940 erfolgt von der Gestapo Frankfurt/ Oder ein Rundschreiben, welches besagt, dass 1.die Auswanderung auch trotz des Krieges verstärkt zu betreiben ist, aber keine "wehr und -arbeitsfähigen Juden" ins europäische Ausland und auf keinen Fall ins europäische Feindesland auswandern dürfen. 2. Die Auswanderung nach Israel aus außenpolitischen Gründen unerwünscht sei. Am 23.05. antwortet wahrscheinlich der Oberbürgermeister von Cottbus der Gestapo Frankfurt/ Oder mit der Mitteilung, dass während des Krieges nur zwei Personen ausgewandert seien, eine nach Argentinien und die zweite nach Spanien. Außerdem hatten seit 1936 mehr als zwei/drittel der 320 ansässigen Cottbuser Juden Deutschland bereits verlassen. ??? Der verbliebene Rest versuchte zwar auszuwandern, war aber entweder zu arm, hatte keine Kontakte oder beides.
1940 wurden zwischen Februar und Oktober fünf jüdische BürgerInnen nach Ravensbrück und drei nach Sachsenhausen transportiert. Genauere Angaben zu diesen Menschen waren leider nicht zu finden. Im April 1942 wurde eine größere Gruppe jüdischer BürgerInnen ins Warschauer Ghetto verschleppt u.a. Semmy Rosenthal und Frieda Glasfeld.
Auch der Vorsteher der Synagogengemeinde, Georg Schlesinger, wurde gemeinsam mit allen BewohnerInnen des Hauses Rossstrasse 27 am 24.08.1942 nach Theresienstadt abtransportiert und höchstwahrscheinlich auch dort ermordet. Mit dem gleichen Transport wurden auch die BewohnerInnen der Münzstrasse 42, unter anderem die 90 jährige Johanna B., deportiert. Ihr Schicksal ist unklar, aber man kann davon ausgehen, dass die meisten, wenn nicht alle, nicht überlebt haben. Somit waren nach 1942 nur noch sehr wenige jüdische Bürger in Cottbus, die sehr zurückgezogen lebten und abhängig vom Schicksal und der Unterstützung sehr sehr weniger waren.
In Cottbus erlebten 12 jüdische BürgerInnen die Befreiung, dass waren circa 2-3 Familien mit ihren Kindern, die durch sogenannte "Mischehen" zumindest bis zum Schluss vor der Deportation geschützt waren.
Dieser Bericht, wie auch Teil 1 erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich war abhängig von den Angaben, die ich im Cottbuser Stadtarchiv fand. Leider war es mir dadurch auch nicht möglich persönliche Schicksale genauer zu beleuchten.
Quellen:
-"Antisemitische Pogrome der Faschisten in Cottbus" von Steffen Kober 1988 aus
-"Niederlausitzer Studien" Heft 22
-"500 Jahre jüdisches Leben in Cottbus"
-"Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Cottbus" von Irene Diekmann und Julius H. Schöps
-Cottbuser Zeitung 1/91 Seite 17 bis 25
-Cottbuser Zeitung 5/90 Seite 3 bis 8
-A ll 3.2a Band 3
-A ll 3.2d 46